Rückblick Fachtag 'Prekär statt Fair?': "Die Menschen brauchen einen Plan B."

Im Jahr 2007 kommt Jendrzej M. aus Polen nach Deutschland. Eine deutsche Firma hatte ihn angeworben, sie organisiert nun den Transfer und die Unterkunft – denn Jendrzej spricht zu dem Zeitpunkt kein Wort Deutsch. Bei der Einstellung hält man ihn dazu an, viele Unterlagen zu unterschreiben, deren Inhalt er nicht versteht. 5 Jahre später erleidet Jendrzej einen Arbeitsunfall. Seinen Wunsch, einen Arzt aufzusuchen, quittiert die Firma mit Androhung von Kündigung. Er geht selbstverständlich trotzdem. Was folgt? Die Firma legt ihm einen rückdatierten Aufhebungsvertrag vor – mit Jendrzejs eigener Unterschrift. Jendrzejs Erfahrung ist nur eine von mehreren, die den Teilnehmenden zum Fachtag "Prekär statt Fair? Arbeitsbedingungen migrantischer Arbeitskräfte mit und ohne Fluchterfahrung" am 24. Oktober 2019 in Magdeburg vorgestellt wurden.

In Sachsen-Anhalt arbeiten derzeit rund 33.000 Menschen mit Migrationshintergrund in sozialversicherungspflichtigen Jobs. Nicht alle unter fairen Bedingungen. Seit August 2018 nutzten bereits knapp 500 Personen die arbeitsrechtlichen Beratungsangebote für Beschäftigte aus Asylherkunftsländern (Faire Integration des IQ Netzwerks Sachsen-Anhalt) und aus dem EU-Ausland und Drittstaaten (Beratung migrantischer Arbeitskräfte, kurz BemA).

Im Fachvortrag der Beratungsstellen zeigten Pauline Lendrich (Faire Integration) und Anne Hafenstein (BemA), dass mangelnde Kenntnisse und individuelle Faktoren ein Bestandteil des Zustandekommens oder der Aufrechterhaltung von prekären Beschäftigungsverhältnissen sind. Und das querschnittsartig über alle Zielgruppen hinweg.

Im interaktiven Format des Fachtags trugen die Beraterinnen und Berater aus der Integrationsarbeit Informationen über verschiedene Fälle zusammen und ließen sich von Fachexpertinnen und Fachexperten darüber aufklären, wie Handlungsstrategien aussehen könnten. So war in Jendrzejs Fall eine schnelle Handlung von großer Bedeutung: Nachdem die Beratungsstellen bei der Dokumentation und Aufarbeitung der arbeitsrechtlichen Situation unterstützte und beriet, bedurfte es auch der engen Zusammenarbeit mit den Leistungsbehörden selbst. Denn mit schlagartig endender Arbeit aufgrund eines gefälschten Aufhebungsvertrags stand Jendrzej augenblicklich vor existenziellen Problemen.

"Die rechtlichen Regelungen sind grundsätzlich vorhanden", so Wolfgang Beck, Abteilungsleiter Arbeit und Integration des Ministeriums für Arbeit, Soziales und Integration Sachsen-Anhalt, der den Fachtag schon zum zweiten Mal besuchte. "Aber in der Anwendung und Umsetzung schwächelt es."

Flankiert wurde die Veranstaltung auch durch andere hochkarätige Stimmen. Gemeinsam mit Krzysztof Blau, Geschäftsführer der Auslandgesellschaft Sachsen-Anhalt e.V. (AGSA) , signalisierte auch der Vorstandsvorsitzende des Landesnetzwerks der Migrantenorganisationen Sachsen-Anhalt e.V. (LAMSA), Nguyen Tien Duc, wie wichtig gute und bedarfsorientierte Zugänge zur Information und zur Beratung insbesondere für migrantische Arbeitskräfte sind. Denn, so Blau, um aus prekären Situationen herauszukommen, "brauchen die Menschen einen Plan B."

Kontakt: Pauline Lendrich (IQ Netzwerk Sachsen-Anhalt) E-Mail / +49 159 01380906 oder Anne Hafenstein (BemA), E-Mail / +49 159 01380903

Das Ministerium für Arbeit, Soziales und Integration Sachsen-Anhalt stellte freundlicherweise die Räumlichkeiten zur Verfügung. Durch die Veranstaltung führte Dr. Franka Kretschmer.